Das Problem der Wöllsteiner Landschaft

Von Friedrich Ernst v. Garnier

In wenigen Jahrzehnten wird ganz Rheinhessen verschandelt sein, kaputt gesiedelt wie weite Teile von Rhein-Main und anderswo. Würden die beteiligten Verantwortlichen ihre Augen aufmachen, man hätte längst schon die Gesetze gezielt verbessert - zum eigenen Schutz. So aber wird deutlich, welche Haltung der Mensch zum Wesen seiner Landschaften hat. Die Vorschriften und Gesetze verstärken diese gedankenlose Tendenz von Lieblosigkeit. Vor allem dieser nördliche Teil von Rheinhessen ist deshalb in Gefahr, weil er als eher arme Landschaft gilt. Wie die Erfahrung zeigt, sind eher arme Gegenden die schöneren, eben weil sie noch nicht ohne Sensibilität und ohne Gefühl für ästhetische Nachbarschaften zersiedelt wurden.

Das Problem ist, dass selbst die Interessen schützende Berufsvereinigungen der Betroffenen nicht zu bemerken scheinen, was da mit ihrer Zukunft und der ihrer Kinder geschieht. Es hat ja kein Winzer gemeutert, als das einstmals reizvolle Weinland Rheinhessen am Rhein zwischen Mainz und Bingen gemeuchelt wurde durch diese verhaltensstörende Lieblosigkeit im gedankenlos gewordenen Raum zwischen Architektur und Zweckbau. Der Winzer, der sich nicht wehrt - obwohl er auch vom Bild seiner Landschaft lebt - müsste gesagt bekommen, wie wichtig, unersetzlich wichtig gerade seine Landschaft eigentlich für ein intelligentes Marketing ist. Hat sich der Bauern- und Winzerverband eigentlich einmal so richtig gegen die absurden Windmühlen ausgesprochen?

Die Windmühlen sind bekanntlich - jeder genau informierte Fachmann kann Ihnen das bestätigen - ein großer Bluff und den Landschaftsverlust nicht wert, den sie bewirken, schon gar nicht im windarmen Rheinhessen. Es gibt aber auch schon Solarelemente (z.B. Solartec), die landschaftsnahe Ansiedlungen auch noch farblich bereichern können, nicht nur schwarz, wie bisher. Würde der Verband es hinnehmen, wenn seine rheinhessischen Winzer eines Tages in den Zeitungen des Landes lesen müssten, dass man einem Wein nicht mehr trauen könnte, der aus einer Landschaft kommt, weil er so schmeckt, wie dann diese Landschaft in kurzer Zeit einmal aussehen wird, wie leicht auszurechnen ist. Hier müssten sich die Winzer selbst wehren. Die meisten Menschen trinken ihren Wein - weltweit - auch wegen der Landschaftsbilder, die sie mit dem Genuss verbinden.

Die Menschen aus den Städten sollen doch zu ihnen kommen, um die hier in den vergangenen Jahren so gut gewordenen Wein-Produkte direkt hier zu kaufen. Findet man denn wirklich, dass es in Wöllstein rechts und links neben der Straße zur Autobahn danach aussieht, als gebe es hier glaubwürdig guten Wein? Es entspricht dem Stand des Wissens heute, dass alleine schon qualitätsbewusste, weil landschaftsnahe Farbigkeit der harten, langen, grauen Zweckfassaden das Problem lösen kann. Auch diese Zweckbauten können nämlich sehr unterhaltend und landschaftsnah erstellt werden, Mehrkosten stehen in keinem auch nur nennenswerten Zusammenhang mit solchen Projekten. Zuwachsen lassen alleine ist nun wirklich die letzte Peinlichkeit für irgend einen Bau, der in der Kulturregion Mitteleuropa entsteht. Gleich ganz Zuschütten wäre reizvoller.

Ärgerlich ist die Unaufrichtigkeit, mit der man in Wöllstein dem Finanzministerium und seinen Bauplanern seinerzeit einen Riesenzirkus wegen Gestaltung und Einbindung des Gefängnisses in die Umgebung machte, und nun auf einen Bauherrn, der anstatt straffällig gewordene Menschen in die Landschaft zu bringen, Geld in die Kassen gießen wird, dann doch nicht halb so wild agiert im Sinne von visuellem Landschaftsschutz.

Ähnlichen Ärger gab es ja schon einmal, ist das schon vergessen?: Vor Jahrzehnten wurde in Wöllstein wegen EDEKA schon einmal das würdige, historische Dorfzentrum abgerissen. Die Argumente der Beteiligten waren mit Sicherheit dieselben wie heute. Heute wird nun der Markt geschlossen und die Wöllsteiner stehen ratlos um ihr ödes zubetoniertes Zentrum herum. Das Dorf ist dort heute zerstört, weil es sein unverwechselbares Geschichtsbild verloren hat. Jetzt dasselbe Theater mit der ganzen Landschaft - übrigens gegen alle klugen Marketing-Interessen des Rheinhessen-Weines. Alleine letztere kommen in der Argumentation der Gemeindeverantwortlichen nicht vor.

Die Arbeitsplatz-Argumentation von Lagerbauten ist maßstäblich nicht ernst zu nehmen. Abgesehen davon wird dieses Argument heute auch missbraucht. Irgendwann wird man auch noch unsere alten Kirchen abreißen, wenn man an der Stelle Zweckbauten unterbringen müsste. Die genannten "wirtschaftlichen Abwägungen" halten nicht auf Dauer durch, dazu wechselt zu vieles in unserer Zeit zu schnell - siehe Verlust des Wöllsteiner Dorfzentrums. Wichtig wäre, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Nähe zu den Großstädten und ihren Fabriken nutzen würden, um die herbe und wein-glaubwürdige Schönheit der Dorfzentren (außen herum werden sie zunehmend eh' zerstört) und die unverwechselbaren Schönheiten dieser Landschaft wirtschaftlich intelligenter zu nutzen als mit Hilfe dieser verlogen daher kommenden Zerstörungen. Ärgerlich ist auch, dass kaum ein Kommunalpolitiker zu wissen scheint (obwohl dieses Wissen Pflicht wäre), dass man mit ganz vielen der Macher in der Industrie und auch im Handel sehr wohl sehr gut über Gestaltungen solcher Bauten reden kann, wenn man nur will und wenn dies rechtzeitig geschieht. Auch dafür werden Menschen in die Politik gewählt.

Wo das nicht geht, wie hier, da muss die Politik freundschaftlichen Druck mit neuen, ergänzenden Gesetzen machen, weil Landschaft unersetzbar ist. Die Buchstaben irgendwelcher Gesetze helfen allein schon lange nicht mehr. Es gibt auch eine "Ökologie fürs Auge", das man gesetzlich schützen kann, mit lächerlich winzigen Ergänzungen der Gesetze. Die Begründungen für das Versagen sind nur vorgeschoben, alle. Berechtigte Interessen in wirtschaftlichen Zusammenhängen werden durch die Einschaltung landschaftsschützender Gestaltung überhaupt nicht berührt. Das brutale Bild der Lagerhallen bei Wöllstein wäre vermeidbar gewesen, sicher nicht - wie behauptet - die Fragen der Umweltbelastungen, aber das hat unsere Zeit so an sich. Ein Logistikzentrum zieht jede Menge von LKW's in die Landschaft, die sonst nicht kämen. In Wahrheit gehen in den Hallen vor allem Roboter mit Paketen um.

In Wirklichkeit füllt kein Empfindungen oder Sensibilität im Umgang mit oberflächlichen Argumenten die Lücken der Politik mit neuem Denken: Achselzucken, die nicht beglückend verantwortungsbewusste deutsche Zeitgeisteskrankheit.

Gefunden im Heimatjahrbuch Alzey-Worms 2004