< > RabeNaturMitte

RabeNaturMitte

„Mit der Natur geht man wie mit den Menschen um“

In Berlin-Mitte wird die Artenvielfalt brutal vernichtet/Spatzen, Turmfalken auf ein Drittel reduziert, Fledermäuse fast ausgerottet

Umwelt-Fortschritte waren dem Osten nach der Wende en masse versprochen worden. Doch jene verantwortlichen Politiker, die immer den enormen Wert der Biodiversität für die Lebensqualität priesen, logen wie gedruckt – in Berlin-Mitte wirds besonders deutlich. Wildenten badeten, putzten sich einst auf dem  Alex-Brunnen – alle Welt beobachtete es mit Vergnügen. „Wildkaninchen noch und nöcher auf dem Rasen am Fernsehturm“, erinnert sich Claudia Hämmerling, Grünen-Expertin für Stadtentwicklung im Abgeordnetenhaus. „Jetzt sind die Tiere alle weg.“ Gemäß Minister-und Senatorensprüchen hätte es  genau andersrum laufen müssen, Bestandszunahmen allerorten. Die Alteingesessenen monierten zuerst, daß jedenfalls vor ihrer Haustür die neue, bessere Umweltpolitik irgendwie nach hinten losging. Aber auf die hörte ja keiner, Jammerossis halt. Inzwischen hauen Wessis, allesamt gestandene Öko-Experten, in dieselbe Kerbe.  Hartwig Berger, aus dem Westteil, umweltpolitischer Grünen-Sprecher, vermißt das Tschilpen der Spatzen nun auch im Osten, besonders in Mitte.“Gerade der Sperling, Stadtvogel par excellence, ging dort auf ein Drittel zurück – das ist wirklich schlimm!“ Ähnlich siehts bei Nachtigallen, Meisen, Rotschwänzchen, eigentlich allen deutschen Vogelarten aus. Berger hat dafür ganz andere Antennen als Polit-Betonköpfe, Technokraten und geldgierige Banker, wenn er durch Mitte schlendert. Die charakteristischen Pfiffe der Mauersegler, im Westteil dank dortiger Umweltpolitik seit Jahrzehnten rar, hört er bei Ausschußsitzungen durchs offene Fenster.“Seien sie doch einen Moment still, lauschen sie mal“, bittet er die anderen Politiker, auch das sei Stadtästhetik, Lebensqualität. „Die halten mich für einen Idioten, wenn ich sowas sage.“ Seit der Wende werden gegens Bundesnaturschutzgesetz und die Berliner Sanierungsvorschriften hunderttausende Niststätten, auch jene der Mauersegler, vernichtet, Grünflächen reduziert oder aseptisch kurzgehalten, sogar, wegen des weißen Kots, Schwalbennester abgeschlagen.“Das ist absolut stupide und bescheuert“, ärgert sich Berger. Gleich nach 1990 wurde der S-Bahnhof Friedrichstraße gegen Ost-Proteste so saniert, daß die beliebte große Dohlenkolonie für immer verschwand. Jetzt ist die ausgedehnte Grünfläche davor, jahrzehntelang eine beliebte Stadtoase für Mensch und Tier, ebenfalls weg, eklige Betonwüste geworden. Die neoliberale Bundesregierung hätte es verhindern können. Strieder, sagt auch Bergers Kollegin Hämmerling, erinnere man alle naselang an seine eigenen Gesetze, die er nicht einhalte. Der Grüne wirft dem Senat öffentlich vor, in ganz Berlin den Arten-und Biotopschutz sterben zu lassen, den entsprechend scharfen Antrag hat noch Renate Künast mitunterschrieben.Völlig wirkungslos. Nur ein paar hundert Meter von Trittin entfernt die Karl-Marx-Allee hinauf, in der Naturschutzbehörde von Mitte, hat der Schöneberger Artenexperte Marcus Zisenis vom 13. Stock aus den besseren Mitte-Blick. „Von den früheren achtundzwanzig Brutplätzen der Turmfalkenpaare sind höchstens noch acht übrig.“ Die gesamte  Nahrungskette stimmt nicht mehr. „Von den Hausspatzen hängt der Turmfalke ab, die jagt er besonders – nur sind die eben nicht nur in Mitte, sondern in so gut wie allen Ost-Städten seit 1990 um bis zu drei Viertel zurückgegangen.“ Fachmann Zisenis sieht schwarz: „Die Tendenz bei den Turmfalken ist wie bei den Fledermäusen – nämlich in Mitte auszusterben.“ Die nächtlichen Flattertiere sind bereits so gut wie weg – ganz besonders peinlich für Trittin und Strieder. Denn anders als Spatzen und Turmfalken sind es Arten mit dem allerhöchsten EU-Schutzstatus. „Wenn wir hier die Natur immer mehr vernachlässigen, uns ihr entfremden, werden wir abgestumpft, inhuman, geht der Stadt die Sinnlichkeit verloren. Mit der Natur geht man hier wie mit den Menschen um.“ Auf Initiative der Grünen Liga wurden unlängst über Minister Trittins Ministerium einunddreißig Nisthilfen für Mauersegler, Fledermäuse, Spatzen und Turmfalken installiert. Erfolg garantiert?  Experten wie Zisenis sind skeptisch. An dessen Amt hängen vierundzwanzig Mauerseglerkästen – nicht einer wurde angenommen, da gibts keinen Automatismus. „Die frühere Artenvielfalt kann in Mitte nicht mehr entstehen – viele zerstörte Lebensräume und Niststätten waren unersetzbar.“ Da werden sich Strieder und Trittin also einiges einfallen lassen müssen, um Alex-Wildenten und Fernsehturm-Kaninchen wiederanzusiedeln.