Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.4.2001, S. 49:

Nicht von den Mondflügen
Woher aber kommt der Klimawandel dann?

Der Groll der Umweltbewegten hat sich nach dem Ausscheren des amerikanischen Präsidenten aus dem multilateralen Klimaschutzprozeß immer noch nicht gelegt. Auf der Südhalbkugel, in Canberra, tanzte am Osterwochenende der erste Weltkongreß der Grünen, und den Bannerträgern des ökologischen Weltgewissens — ob aus Brasilien, Nordamerika, Europa oder Japan — war kein Weg zu weit und kein Liter Kerosin zu schade, um sich in Australien geschlossen gegen den entfesselten "ökonomischen Rationalismus" aufzulehnen und mit einem weltweiten Boykott von amerikanischen Erdölprodukten zu drohen. Zur gleichen Zeit organisierte sich das grüne Fußvolk im Internet, um gegen George W. Bush eine Hunderttausend-Mails-Kampagne zu starten, die zum Ziel hat, den Computeranschluß im Weißen Haus für einige Zeit lahmzulegen. Und inmitten der texanischen Prärie, nur wenige Kilometer von seiner Privatranch entfernt, wurde der frischgewählte Präsident mediengerecht zur Zielscheibe von Greenpeace-Aktivisten, die an einem Wasserturm den Spruch "Bush, der toxische Texaner" plakatierten. Seinen österlichen Frieden ließ sich der neue Erste Mann im Staate dadurch nicht nehmen.

Doch bei aller äußeren Gelassenheit des neuen Präsidenten ist unverkennbar, daß der Druck, insbesondere der politische Druck hinter den Kulissen, zusehends wächst. Die KLimaschutzakquisiteure der Europäischen Union waren vergangene Woche auf Weltreise und gaben unter anderem in den Machtzentren Rußlands, Chinas und Japans Durchhalteparolen für das Klimaabkommen von Kyoto aus. Umweltminister Trittin will nun in diesen Tagen in Washington vorstellig werden.

Die Umweltdiplomatie befindet sich also im Zustand der Dauerregnung. Und auch in der wissenschaftlichen Gemeinde, die den Prozeß seit Jahren mit erstaunlicher Leidenschaft vorantreibt, breitet sich offenbar die Furcht aus, an der klimapolitischen Demission der Amerikaner drohe womöglich nicht nur ein einzelner Völkerrechtsvertrag, sondern ein geopolitisches Projekt von existientieller Bedeutung zu scheitern. Die amerikanische Zeitschrift "Science" präsentierte vor wenigen Tagen die wissenschaftliche Antwort auf die Verweigerung des neuen Präsidenten: "Die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung heizt die Ozeane auf", verkündete das Blatt und faßte damit zwei aktuelle Forschungsergebnisse zusammen, die die beteiligten Wissenschaftler als "den bisher stärksten Beweis für den Einfluß des Menschen auf den gegenwärtigen Klimawandel" betrachten.

Selbst wenn wir voraussetzten — was als ziemlich abwegiger Gedanke gelten darf —daß George W. Bush das renommierte Wissenschaftsmagazin lesen oder wenigstens vom Inhalt in Kenntnis gesetzt werden sollte, ist doch kaum vorstellbar, daß die neuen Befunde im Lager des Präsidenten ernsthaft Eindruck zu schinden vermögen. Denn Beweise oder besser: Indizien dieser Art hat die Klimaforschung in den vergangenen Jahren im Dutzend präsentiert. Zuletzt hat das von den Vereinten Nationen installierte Sachverständigengremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), eine Art wissenschaftlicher Weltklimabeirat, dem nicht weniger als 2500 Klimaforscher aus aller Welt ihren Sachverstand leihen, sein mittlerweile drittes Verdikt innerhalb der letzten zehn Jahre präsentiert. Demnach sind ernsthafte zweifel an einem anthropogenen Klimawandel kaum noch angebracht. Mit anderen Worten: Vollkommen sicher ist der Einfluß des Menschen auf die globale Erwärmung durch die Emission von Treibhausgasen zwar nicht nachzuweisen, aber die weltweit verfügbaren Daten und Berechnungen lassen einen anderen Schluß kaum noch zu.

"Begrünen wir den Planeten"

Ist das nicht Grund genug zu handeln, zu versuchen, die oft geforderte Energiewende schleunigst einzuleiten, wenn doch einigermaßen klar zu sein scheint, daß bei einem "Weiter so" der Klimakollaps zumindest immer wahrscheinlicher wird? Offensichtlich nicht für den amerikanischen präsidenten. Er hat gewiß noch die wirkungsvolle Fernsehkampagne der nationalen Kohlelobby im Ohr, die nicht das Zurückschrauben, sondern umgekehrt die Forcierung der Kohle- und Ölverbrennung mit der Parole fordert: "Die Begrünung des Planeten Erde ist unser Ziel." Kohlendioxyd sei Nahrung für Pflanzen, und wo doch jeder weiß, daß die Tomaten in veritablen Treibhäusern mit künstlichem Kohlendioxyd begast würden, sei es gewissermaßen ein humanitäres Gebot der Stunde, aus dem Treibhaus Erde das Maximale an Nahrungsmitteln für eine rasch wachsende Bevölkerung zu holen.

Die bemerkenswerte Naivität in ökologischen Dingen wäre den Kohlelobbyisten nicht unbedingt anzukreiden. Wer aber wie sie den Fachleuten vorwirft, die enorme Komplexität des Erdklimas nie und nimmer verstehen zu wollen, dürfte sich in der Tag mit billigen, die Realität fast karikierenden Slogans wie diesem nicht in eine ernsthafte Diskussion einmischen.

Denn diskussionswerte Aspekte der Klimaforschung gibt es abseits solcher öffentlicher, in ihrer politischen Wirkung jedenfalls fataler Verdummungskampagnen durchaus. Die Atmosphärenphysiker Fred Singer von der George Mason University und Richard Lindzen vom renommierten Massachusetts Institute of Technology beispielsweise fragen sich nicht ohne Sachverstand seit vielen Jahren, ob die Menschheit nicht vielleicht doch einer Inszenierung, einem wissenschaftlichen Schabernack aufsitzt. Dahinter scharen sich einige andere ernstzunehmende Kritiker und eine völlig heterogene Gruppe von sogenannten Klimaskeptikern, die aus unterschiedlichen Motiven alle mehr oder weniger nur das eine wollen: Schluß machen mit dem Gerede von der menschengemachten Klimakatastrophe. Manche gleichen in ihrem Starrsinn den Kohlelobbyisten und weigern sich hartnäckig, die experimentell längst erwiesenen physikalischen Grundlagen der Treibhaustheorie anzuerkennen. Wie weiland Samuel Wilberforce, der ehrwürdige Bischof von Oxford, gegen die Evolutionstheore Darwins zu Felde gezogen war, so haben sie sich fest vorgenommen, die Fundamente der Treibhausthese zu stürzen. Ihr Kampf hat nicht mehr Aussichten auf Erfolg als die noch immer währenden pseudowissenschaftlichen Versuche der amerikanischen Kreationisten, einem mythischen Schöpfungsglauben zum wissenschaftlichen Durchbruch zu verhelfen.

Erheblich größere Glaubwürdigkeit genießen jene Skeptiker, die wie Singer oder Lindzen die Tatsache, daß Treibhausgase die Wärmestrahlung absorbieren (und zwar je höher die Konzentration desto mehr Wärme), als solche zwar nicht anzweifeln, die aber das berechnete Ausmaß der Klimaerwärmung in Frage stellen. Der Begriff Klimakatastrophe kommt nicht über ihre Lippen. Sie ziehen damit zugleich Lehren aus einer alten Erfahrung: Daß sich nämlich die Kronzeugen der Katastrophe, und seien sie auch noch so gelehrt gewesen, stets als die zweifelhaftesten Propheten erwiesen. Blitzableitern zum Beispiel hat man noch im neunzehnten Jahrhundert mancherorts existenzbedrohende Rückwirkungen auf das Klima attestiert, später waren es Atombombenversuche und Überschallflugzeuge.

Zu größter Zurückhaltung bei der Extrapolation der jüngeren Entwicklung raten auch immer wieder Wissenschaftler mit paläoklimatischem Hintergrund. Für sie ist der Wandel des Klimas so etwas wie eine Spielart der gottgewollten Ordnung. Stillstand kennt die Klimageschichte nicht, Veränderung dagegen ist ihr Programm und damit ein vollkommen natürlicher Vorgang. Aus dieser Überzeugung nun speist sich die häufigste Kritik. Wer will wissen, ob die gegenwärtige Warmperiode nicht einer der unzähligen chaotischen Exkurse in der Klimageschichte dieses Planeten ist?

Die Wissenschaft improvisiert

Wollte man zweifelsfrei nachweisen, daß der Mensch eine Mitschuld an der beschleunigten Erwärmung der Atmosphäre trägt und somit ein riskantes Spiel mit ungewissem Ausgang treibt, es wären jahrzehnte-, besser noch jahrhundertelange Meßreihen heutiger Güte nötig. Weil diese Datengebirge jedoch nicht zur Verfügung stehen, improvisiert die Wissenschaft. Mit Hilfe hochkomplexer Computermodelle versucht sie sich einen Reim auf den Klimaumschwung zu machen. Natürlich ist die Vorstellung abwegig, mit mathematischen Mitteln eine vollständige Spiegelung der Realität erreichen und damit womöglich auch noch einen Blick auf die ferne zukunft werfen zu wollen. Eine Reihe physikalischer, chemischer und biologischer Faktoren, die am Klimageschehen mitwirken, finden schon der begrenzten Rechenkapazitäten wegen bis heute nicht — viele jedenfalls nicht in der notwendigen räumlichen Auflösung — eine adäquate Entsprechung in der Formelsprache der Klimatologen. Die Computermodelle sind so gesehen nicht mehr als unscharfe Abziehbilder der Klimawirklichkeit. Sie sind, wenn man so will, ein gut Teil aus der not der dürftigen Datenlage geboren. Aber sie ersetzen keineswegs die Messungen. Sie sind auch längst nicht so wertvoll. Einer der häufigsten Fehler im Umgang mit den Modellen besteht deshalb darin, die Ergebnisse der Simulationsexperimente wie reale Daten zu bewerten.

Was die Modelle erzeugen, sind allenfalls grobe Schätzungen. Sie lassen probibalistische Aussagen zu, Aussagen über Klimamechanismen und -verläufe, die im günstigsten Falle das "wahr Erscheinende", das "wahrscheinliche" Ergebnis, spiegeln. Unsicherheiten jedoch sind unausweichlich und weder durch Fortschritt noch durch statistische Retusche zu tilgen. Viele Klimaforscher (jedenfalls die, die ernst genommen werden wollen) haben sich deshalb angewöhnt, in ihren Bulletins den Konjunktiv zu formulieren.

Wenn aber der prognostische Wert der Klimamodelle derart begrenzt ist, stellt sich generell die Frage nach ihrer Brauchbarkeit. Disqualifiziert sie die inhärente Unsicherheit nicht von vornherein auch als Instrument für Risikobewertungen der Art, wie sie heute nun mal von den Wissenschaftlern gefordert werden? Was haben wir zu tun, wenn die Ozeanographen wie jetzt in "Science" von einer mehr als fünfundneunzigprozentigen Wahrscheinlichkeit einer anthropogenen Erwärmung sprechen? Und was, wenn in nächster Zeit wieder nur die Zahl solcher probabilistischer Angaben, nicht aber ihr Grad an Sicherheit entscheidend zunehmen wird? Verschiedene Forscher und verschiedene Menschen nehmen Risiken unterschiedlich wahr. Damit stirbt auch die Hoffnung auf eine objektive, eine letzte Antwort. Das Obligo der Wissenschaft wird also lange auf sich warten lassen.

Die Politiker, pflegt der jetzige Vorsitzende des IPCC, Robert Watson, ganz richtig zu sagen, verlangen Antworten — jetzt und möglichst klar, so unvollkommen die wissenschaftliche Basis auch sein möge. Eine andere politische Option als Gegensteuern, als multinationalen Klimaschutz, läßt sich aus der Indizienlage derzeit nur schwer begründen. Es sei denn, man klammert solche Fragen aus seinem Verantwortungsbereich aus — wie es George W. Bush offenkundig tut. Während der Siegeszug der Aufklärung noch andauerte, kommentierte Lichtenberg die Abneigung seiner Zeitgenossen gegen Blitzableiter in dem Aufsatz "Über Gewitterfurcht und Blitzableiter" mit dem noch immer bemerkenswerten Satz: "Die Menschen werden vom Blitz getroffen und ihre Häuser angezündet, weil sie es nicht anders haben wollten." Mit anderen Worten: Laßt Vernunft walten.

Joachim Müller-Jung