Bonn, den 6. November 2000

Naturschutz/Energie

Windenergienutzung muss naturverträglich sein

BfN veröffentlicht Empfehlungen

Bonn, 06. November 2000: Das Bundesamt für Naturschutz hat "Empfehlungen zu naturschutzverträglichen Windkraftanlagen" veröffentlicht. Damit werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie der Ausbau der Windenergienutzung und die Erfordernisse von Naturschutz und Landschaftspflege in Einklang gebracht werden kann und welche planerischen Instrumente hier besonders zielführend sind. "Der weitere Ausbau der Windenergie darf nicht zu Lasten ökologischer, landschaftsästhetischer oder erholungsrelevanter Wirkungen erfolgen. Deshalb ist die Freihaltung ökologisch und landschaftlich sensibler Standorte als langfristige Standortvorsorge vorrangig zu betreiben. Die Ebene der Regionalplanung muss besonders planerisch vorsorgend eine gesteuerte Entwicklung fördern," erklärte der Präsident des Bundesamtes für Naturschutzes, Prof. Dr. Hartmut Vogtmann heute in Bonn. Die Ausweisung von Eignungsgebieten und die mögliche Konzentration leistungsstarker Anlagen an naturschutzfachlich geeigneten Standorten sei unerlässlich. Selbstverständlich müssten auch die europäischen Richtlinien (Vogelschutzrichtlinie, Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) und andere internationale Konventionen (z.B. Schutz der Wasservögel - RAMSAR) sowie ausreichende Abstände der Anlagen für eine naturschutzverträgliche Nutzung der Windenergie berücksichtigt werden, sagte der BfN-Präsident.

In der Veröffentlichung werden die bestehenden naturschutzfachlichen und planungsrechlichen Grundlagen der Windenergienutzung, sowohl für den Meeres- und Küstenraum als auch für das Flachland und die Mittelgebirge dargelegt. Das Instrumentarium des Naturschutzes, insbesondere Landschaftsplanung und Eingriffsregelung kann - bei stringenter Anwendung - eine Absicherung der naturschutzfachlichen Ziele und Erfordernisse beim Ausbau von Windkraftanlagen gewährleisten. Durch sorgfältige Standortplanung, Unterlassung vermeidbarer Beeinträchtigungen von Mensch und Natur sowie durch den naturschutzrechtlich erforderlichen Ausgleich können Windkraftanlagen somit einen Beitrag zu einer nachhaltigen, klimaschonend und naturschutzverträglichen Energieerzeugung leisten.
Neben den o.a. Anforderungen wird in der Veröffentlichung auch Forschungsbedarf aus naturschutzfachlicher Sicht für den Offshore-Bereich, für Küstengewässer, Flachland und Mittelgebirge sowie die Wirkungen von Anlagen größer 1,5 Megawatt dargelegt.

Die anspruchsvolle Klimaschutzpolitik der Bundesregierung - im Kabinetssbeschluss vom 18. Oktober festgelegt - bedeutet auch, geeignete Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau der Windenergienutzung vorzugeben, wie z.B. mit dem "Erneuerbare-Energien-Gesetz" vom 29. März 2000. Als ein Bestandteil der Klimaschutzpolitik erfolgt dieser Ausbau unter der Prämisse, eine Energiewende zu einem nachhaltigen Energiesystem zu bewerkstelligen. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist dabei zu berücksichtigen, dass der Ausbau der Windenergienutzung Auswirkungen auf die Fauna (insbesondere auf die Vogelwelt) und das Landschaftsbild haben kann; er muss daher an geeigneten Standorten erfolgen. Andererseits ist auch nicht zu vernachlässigen, dass konventionelle Energien, wie zum Beispiel die Gewinnung und Nutzung fossiler Energieträger, erhebliche, irreversible Veränderungen von Natur und Landschaft, sowie verheerende Wirkungen auf das Klima und damit auch auf die Ökosysteme zur Folge haben.

In der nun vorgelegten Veröffentlichung sind Positionen zu den ökologischen und planerischen Erfordernisse einer naturschutzverträglichen Windenergienutzung formuliert, die sich sowohl an die Fach- und Vollzugsbehörden sowie Gemeinden als auch an Fachleute aus Wissenschaft und Politik richten.

Hinweis:
Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): "Empfehlungen des Bundesamtes für Naturschutz zu naturschutzverträglichen Windkraftanlagen", Bonn 2000, 98 Seiten, Preis: 29,80 DM, ISBN 3-7843-3813-5, BfN-Schriftenvertrieb im Landwirtschaftsverlag Münster, Tel.: 02501-801-300, Fax: 02501-801-351.

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Windkraft kontrovers
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) legte Empfehlungen zum Thema "Windkraft und Naturschutz" vor. Wer die überraschende, übermäßig lange zurückgehaltene Studie aufmerksam liest, wird sich wundern: Ausgerechnet eine Bundesbehörde widerspricht kräftig der Windkraft-Argumentationslinie von Bundesumweltminister, Grünen, Greenpeace und Windkraftindustrie. In Kurzform, und nicht wissenschaftlich verbrämt, hatte man all' das schon seit langem von Umweltexperten wie NABU-Vizepräsident Michael Succow und den rund 500 deutschen Naturschutz-Bürgerinitiativen gehört, die weitere Windkraftwerke in ökologisch und landschaftlich sensiblen Regionen verhindern wollen.
So stellt das Umweltminister Trittin unterstehende BfN klar, dass Windkraft neben der Nutzung anderer regenerativer Energiequellen und Energieeinsparungstechniken "ein Baustein zur Erreichung einer nachhaltigen und klimaverträglichen Energieversorgung" sei. Doch der Ausbau müsse sich auf ökologisch und landschaftsästhetisch verträgliche Standorte beschränken. Nicht vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sollte man durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kompensieren. "Nur so kann verhindert werden, dass das Ziel der CO2-Minderung mit Einbußen bei anderen Umweltzielen erkauft wird." Das BfN plädiert dafür, Windkraftwerke konzentriert an Standorten zu errichten, die, wie etwa Industrie- und Gewerbegebiete, hoch negativ vorbelastet sind. Auch angrenzende Ackerflächen seien besonders geeignet. Sofern in bestehenden oder potenziellen Ausschlussgebieten für Windnutzung bereits Anlagen existieren, sei das kein Argument, an einem planerisch und naturschutzfachlich falschen Standort noch mehr Anlagen auszuweisen. "Vielmehr sollte der Rückbau von Altanlagen in Naturschutzvorranggebieten als Option künftig vorgesehen werden." Grundsätzlich seien markante Kuppen, Höhenzüge und Felslandschaften von Windkraftwerken freizuhalten. Sichtbeziehungen von Aussichtspunkten, Hauptaufenthaltsorte von Urlaubern, Touristenstraßen und Hauptwanderwege seien vor einer "technogenen Überformung der Landschaft zu sichern ... In traditionellen Kulturlandschaften sollte aufgrund der Empfindlichkeit des Landschaftsbildes von einer Ausweisung von Standorten für Windkraftanlagen abgesehen werden." Doch genau dieses geschah bisher massiv und flächendeckend, im Widerspruch zu den entsprechenden Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes; fast gleichlautende Forderungen von Umweltschützern wurden meist als Spinnerei Rückwärtsgewandter abgetan.
Die Grünen-Energie-Sprecherin Michaele Hustedt und Greenpeace sehen nur Vorteile bei den neuen, riesigen geplanten Offshore-Windparks vor deutschen Küsten - doch die BfN-Studie stellt dazu kurz und bündig fest: "Sollte es zur Genehmigung eines kleinen Windparks im Offshore-Bereich kommen, muss dieser als Testfall angesehen werden, der als Studienobjekt dienen kann." Dann folgen Begründungen, die echten Umweltschützern bestens bekannt sind: Die deutschen Küstengewässer haben teils herausragende Bedeutung auch als Rast- und Überwinterungsgebiet für Meeresvögel. Gerade seltene Arten, die sich von Muscheln oder Fisch ernähren, bevorzugen Bereiche mit Wassertiefen bis 15 oder 20 m - und die sind besonders ausersehen für Offshore-Windkraftwerke. Pracht- und Sterntaucher beispielsweise haben hohe Fluchtdistanzen, gegenüber Schiffen bis mehrere Kilometer; solche Arten dürften also noch erheblich größere Abstände zu den Offshore-Anlagen einhalten. "Daher können bereits in der Bauphase durch die Störung des Lebensraumes Flächen als Rast- und Nahrungsgebiet entwertet werden, die ein Mehrfaches über dem eigentlich bebauten Areal liegen." Zitiert wird eine dänische Studie, der zufolge sich die Rastbestände von Eider- und Trauerenten nach dem Bau eines kleinen Offshore-Parks mit nur zehn Anlagen um 75 bzw. mehr als 90 % reduzierten. Ein Ausweichen in andere Areale sei Tieren nur beschränkt möglich. Trotz des noch enormen Forschungsbedarfs geht das BfN von einer "erheblichen Beeinträchtigung der Vogelwelt" im Küsten- und Meeresbereich aus. Aber auch Fische und Meeressäugetiere seien betroffen. Nicht anders argumentiert die AG Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, zu der auch NABU, BUND und WWF gehören. 
Hinzu kommt die Kollisionsgefahr: Bereits im Binnenland haben drehende Rotoren tagsüber einen Streß- und Scheucheffekt auf Vögel. "Es kann daher angenommen werden, dass nachts ziehende oder nächtlich aktive Arten, wie die meisten Meeresenten, einem erhöhten Vogelschlagsrisiko ausgesetzt sind. Vor allem, wenn es sich um relativ flach über das Wasser ziehende Vogelarten handelt, ist dieses Risiko erhöht." Sehr ähnlich sieht es an Land aus, da manche Vogelarten empfindlich reagieren und Windkraftwerke im Umkreis bis zu 500 m meiden. "Daraus folgt, dass große Flächen als Brut- und Nahrungshabitate ausfallen." Je größer, höher die Anlagen, besonders die Rotoren neuerdings werden, umso mehr wächst laut Studie die Scheuchwirkung sowie die Kollisionsgefahr, besonders bei jenen in der Dunkelheit ziehenden Arten, bei widrigen Wetterlagen. 
Auffällig ist, wie eindeutig sich das Bundesamt auf die Seite der Naturliebhaber unter den Wanderern und Erholungssuchenden stellt. Die audiovisuelle Veränderung der Landschaft, also Anlagenlärm und Rotordrehen, errege die Aufmerksamkeit, lenke von Ruhe und Naturgenuss ab, könne für das Ohr unerträglich werden, zu nervlicher Dauerbelastung führen, werde von Urlaubern laut Befragungen abgelehnt. "Ein Gewöhnungseffekt ist auszuschließen." Ausdrücklich zitiert wird das windkraftkritische Darmstädter Manifest von rund 100 Hochschulprofessoren und Schriftstellern mit jenem Passus, wonach die Windgeneratoren das Landschaftsbild wertvoller Erholungsgebiete zerstören. Laut BfN muss mit der so genannten Privilegierung von Windanlagen im Außenbereich der Gemeinden eine zunehmende umweltfeindliche "Verspargelung" der Landschaft befürchtet werden, nur zu oft werden danach entgegen stehende öffentliche Belange - wie Naturschutz und Landschaftspflege, das Orts- und Landschaftsbild, die natürliche Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes - nicht beachtet. In manchen Bundesländern verrechne man bei Windkraftwerken undifferenziert Beiträge zum Klimaschutz mit Einbußen beim Naturschutz. Damit werde ungerechtfertigt die Windkraft bevorzugt, andere Wege zu klimaneutraler Energieversorgung, besonders das Energiesparen, würden benachteiligt.

Klaus Hart, Berlin

Empfehlungen des Bundesamtes für Naturschutz zu naturschutzverträglichen Windkraftanlagen. Herausgegeben vom Bundesamt für Naturschutz, Projektgruppe "Windenergienutzung". 64 Seiten + 160 Seiten Anhänge. Kartoniert. DM 29,80. Bonn-Bad Godesberg 2000. BfN-Schriftenvertrieb im Landwirtschaftsverlag, Münster. ISBN 3-7843-3813-5.


Auszüge:
"Mit dieser Veröffentlichung legt das Bundesamt für Naturschutz die fachlichen und rechtlichen Grundlagen einer naturschutzverträglichen Windenergienutzung sowohl für den Meeres- und Küstenraum als auch für das Flachland und die Mittelgebirge dar. Ein weiterer Ausbau der Windenergienutzung kann künftig planerisch vorsorgend und unter Beachtung dieser Anforderungen bewältigt werden, wenn dabei der Sicherung und Freihaltung ökologisch und landschaftlich sensibler Standorte als langfristiger Standortvorsorge ein hoher Stellenwert zukommt. Diese Positionsbestimmung zeigt die ökologischen, naturschutzfachlichen und planerischen Erfordernisse auf. Sie richtet sich sowohl an die Fach- und Vollzugsbehörden der Länder und Gemeinden als auch an Wissenschaftler und Politiker.

Aus der Zusammenfassung, Seite 53:
"Das sachliche und methodische Rahmenkonzept liefert das Bundesnaturschutzgestz (§ 1, 2 und 8) über die Begriffe Vielfalt, Eigenart und Schönheit....
Da sich das Landschaftsbild nicht allein über Einzelelemente oder Flächenformen und Flächenausdehnungen erklären und hinreichend bewerten läßt, werden insbesondere die räumlichen und visuellen Aspekte und Wechselbeziehungen einer konstruktiv betonten Analyse und Bewertung unterzogen. Soweit in diesem Zusammenhang möglich, werden die planerischen Ansprüche, die Anforderungen der Eingriffsregelung und die Komplexitätsstufen des Landschaftsbildes in einen Problematisierungs- und Lösungszusammenhang gesetzt.

Es werden die verschiedenen Beeinträchtigungen von Windkraftanlagen und Abstandsformen vorgestellt. Landschaftsbilder unterscheiden sich nach dem Grad ihrer Komplexität, aber auch durch die Nähe zur Natur und durch ihre kulturgeschichtliche Identität. Darin nehmen die Raumbilder, das Anordnungsmuster und die der Landschaftsbild eigenen Elemente (Art und Gestaltgradient) eine Schlüsselrolle ein. Hinzu kommen die Kulissenbilder und Kompositionsmodelle des Bildganzen, die über Sichtachsen, -korridore und Panoramasituationen den Standort strukturell und thematisch einbinden...

Seite 64 unter 4: Forschungsbedarf
...Forschungsbedarf über die Wirkung von Windkraftanlagen durch Beunruhigung und Scheuchwirkung auf einzelne Vogelarten besteht auch im Binnenland, da bisher keine abgesicherten Ergebnisse über Brutverhalten und die Beeinträchtigung von Nahrungshabitaten vorliegen. Auch der Einfluß von Windkraftanlagen auf Resthabitate ist unzureichend erforscht und bisherige Erfassungsmethoden haben die Auswirkungen unterschätzt. Die in den Länderregelungen festgelegten starren Abstände zu Windkraftanlagen (vgl. Tabelle 4) sind bisher naturschutzfachlich nicht abgestimmt und / oder durch empirische Untersuchungen untermauert. .....

Anlagen größer als 1,5 MW
Da die technische Entwicklung leistungsfähigerer Anlagen (zukünftig 1,5 - 5 MW) kontinuierlich fortschreitet, ist ... zu erforschen, in welcher Korrelation Masthöhe, Rotordurchmesser und Gestaltung der Flügel zur Mortalität von Vögeln und zur Beeinflussung der Flughöhe stehen und wie ein wirksamer Schutz der einzelnen Vogelarten gewährleistet werden kann...
Ebenso sind Auswirkungen auf das Landschaftsbild durch fortschreitende Einzelanlagengrößen bislang unzureichend untersucht..."

"In der Literatur und den Medien der letzten 3-4 Jahre mehren sich kritische Stimmen, so auch aus dem Fremdenverkehrssektor, die auf die Gefahr hinweisen, dass die über viele Kilometer hinweg sichtbaren Windkraftanlagen als flächendeckend dominante Elemente in Erscheinung treten und eine Beeinträchtigung der Qualität der Fremdenverkehrsregion darstellen. Zur Einschätzung der Auswirkung auf Naturliebhaber können folgende Fakten dienen. Fast zwei Drittel der deutschen Urlauber, d. h. 58-64 %, wanderten 1995 im Urlaub. Damit liegt Wandern gegenwärtig - im Gegensatz zu früheren Jahren - noch vor der Urlaubsaktivität "Besichtigung/Ausflüge" (47-58%) [...] Es ist zu vermuten, dass die Anzahl der Wanderer, die ihren Urlaub in Deutschland verbringen, noch über dem genannten Gesamtdurchschnitt liegt. Wahrnehmungspsychologen machen darauf aufmerksam, dass die von Windkraftanlagen ausgehende audiovisuelle Veränderung der Landschaft noch nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht wurde. Bekannt ist, dass die Bewegung der Rotorblätter und das diskontinuierliche Geräusch der Flügelschläge sowie "Einzeltonhaltige Geräusche" zwangsläufig, aufgrund naturgesetzlicher menschlicher Verhaltensweisen, die Aufmerksamkeit erregen und sie im Fall der Erholungssuchenden von Ruhe und Naturgenuss ablenken. Zusammen mit der Erwartungshaltung "Natur erleben" kann dies zu starker Belästigung führen. Ein Gewöhnungseffekt ist auszuschließen."
Dieter Krämer